Langeweile kommt im Tierheim München-Riem keine auf. Nach turbulenten Wochen um Affenbaby Mally laufen die Vorkehrungen für die Ferienzeit auf Hochtouren. Denn im Sommer steigt die Anzahl an ausgesetzten Tieren erheblich.
An einem verknoteten Stück Stoff zieht sich das Weißschulter-Kapuzineräffchen Mally nach oben, klettert am Heizkörper entlang und spielt mit seiner Ersatzmama, einer Plüschkatze. Von seiner richtigen Mutter ist das rund fünf Monate alte Affenbaby viel zu früh getrennt worden. Im nächsten Moment sitzt es auf der Schulter der Tierpflegerin und blickt mit großen Augen in die Kamera. „Mally ist ein ganz Frecher heute, er stiehlt mir immer den Schwamm aus dem Eimer“, sagt die junge Frau durch den Mundschutz, den sie bei der Arbeit im Affengehege trägt. Derzeit ist Mally Münchens prominentester Gast.
Das ehemalige Tournee-Maskottchen des kanadischen Popstars Justin Bieber war am Gründonnerstag vom Münchener Flughafenzoll beschlagnahmt worden. Von seinem Besitzer in Deutschland zurückgelassen, befindet sich das artengeschützte Wildtier seit dem 28. März 2013 im Tierheim München-Riem in Quarantäne. Vor kurzem noch unzertrennlich, will der Teeniestar nun nichts mehr von seinem Äffchen wissen.
Schicksale wie dieses sind kein Einzelfall, insbesondere zur Ferienzeit. Nicht selten bedeutet des Menschen Freud des Tieres Leid, mit der steigenden Reiselust geht oftmals die quälende Frage einher, was in der Zwischenzeit mit dem Haustier geschehen soll. Der beste Freund der Familie und knuffige Star der Kinder wird bei der Urlaubsplanung schnell zur Last. Im Tierheim München-Riem beläuft sich die Zuwachsrate an ausgesetzten Tieren in den Sommermonaten auf rund 30 Prozent. „Immerhin warten die meisten Besitzer, bis es wärmer wird, um sich alter und kranker Tiere zu entledigen“, sagt Judith Brettmeister vom Tierheim München-Riem. Ein schwacher Trost angesichts der zu erwartenden Neuzugänge, für die prophylaktisch Plätze freigehalten werden.
Auch im Kleintierhaus des Tierheims warten leere Gehege auf weitere Chinchillas, Mäuse, Kaninchen, Meerschweinchen, Vögel oder Frettchen – eben die Tiere, die am häufigsten ausgesetzt werden. Seit rund zwei Jahren ist die 27-jährige Melanie Diesner dort als Tierpflegerin tätig. „Mein Freund wundert sich, warum ich abends erschöpft bin. Wo ich doch den ganzen Tag nur dutzi dutzi mache und Tiere streichle“, sagt die gelernte Tierarzthelferin. Was gerne zum Klischee verklärt wird: die Arbeit besteht überwiegend aus Entmisten, Medikamenten verabreichen, Zwangsernähren und harter körperlicher Arbeit. „Der Job ist anstrengend und nicht gut bezahlt, doch ich gehe jeden Tag gerne hin. Ich möchte den Tieren etwas Gutes tun.“ Liebevoll verabreicht sie den Patienten auf der Quarantänestation Medikamente und freut sich über jedes zugenommene Gramm, wenn sie ein untergewichtiges Chinchilla wiegt. Auf jeden einzelnen der rund 100 tierischen Gäste in ihrem Zuständigkeitsbereich versucht die Tierpflegerin ein wachsames Auge zu werfen.
Trotz der ausgebildeten Betreuer und der medizinischen Versorgung können nicht alle Schäden bei den Tieren behoben werden. Schuld ist die unzureichende Aufklärung in Zoohandlungen, die aus Profitgier zu viele Tiere unbedacht verkaufen. Der Besitzer kommt mit seinem Tier nicht klar, es wird krank und muss weg. Nicht umsonst steigt die Zahl der Tiere im Tierheim, auf jedes erfolgreich vermittelte folgen zwei neue. Kuriose Gäste wie Ameisen zum Überwintern oder Schmetterlingsraupen zum Verpuppen finden sich darunter ebenso wie exotische, seien es Stinktiere, Streifengrashörnchen, Plumploris oder Sugarglider.
Nach der vormittäglichen Säuberung der Gehege und Versorgung der Tiere mit Medizin und Futter folgt am Nachmittag die Tiervermittlung. Ab 13 Uhr herrscht reger Betrieb auf der Anlage des Tierheims, die mit vielen Bäumen, einem kleinen Tierfriedhof im Zentrum und einem Weiher mit Goldfischen gestaltet ist. Unter 100 Tierheimbesuchern sind 30 potentielle Kunden. Für die Tierpfleger heißt es, die Eignung eines Kandidaten als neuer Tierbesitzer zu bewerten, was in der Kürze der Zeit problematisch ist. „Die Leute spinnen sich oft derart auf ein Tier ein, dass sie wütend sind, wenn sie es nicht bekommen“, weiß Melanie Diesner. Diplomatie im Umgang mit Menschen ist gefragt. Binnen einer Stunde sind ein Nymphenwellensittich und ein Kaninchen erfolgreich an neue Besitzer vermittelt.
Seit März 2013 unterstützt das soziale Startup Tierheimhelden mit einer bundesweiten Onlinesuche nach dem Wunschtier. „Unser Ziel ist eine Reichweitensteigerung bei der Vermittlung und eine Vorfilterung der in Frage kommenden Tiere über die Plattform“, erzählt Christopher Waldner, einer der Gründer. Der Erfolg von Aktionen wie der kürzlich vom Tierheimhelden-Botschafter Peyman Amin – besser bekannt als Modelscout und Juror bei Germany’s Next Topmodel – moderierte Dogwalk beim Frühlingsfest des Tierheims München-Riem spricht für sich, 14 Hunde haben seitdem ein neues Zuhause.
Doch Tierheime können nicht jeden Wunsch erfüllen. Die Bitte eines kleinen Mädchens („Wenn Justin den Affen abholt, können Sie ihm den Liebesbrief geben?“) bleibt wohl ein Traum. Mallys Geschichte dagegen hat ein Happy-End. In wenigen Tagen bekommt das Kleine eine neue Affenfamilie in einem Norddeutschen Zoo. Die deutsche Staatsbürgerschaft hat es schon.
Judith Pöverlein ist gebürtige Münchnerin und hat an der LMU Kunstgeschichte, Kommunikationswissenschaft und Philosophie auf Magister studiert. Derzeit promoviert sie über den Medienkünstler Christian Jankowski und bildet sich an der Journalistenakademie in München beruflich weiter.
Im Rahmen meiner Weiterbildung an der Journalistenakademie habe ich meine erste Reportage über das Tierheim München-Riem geschrieben. Am Donnerstag, den 23.5.2013, konnte ich einen Tag lang hautnah die Arbeit der Tierpfleger im Kleintierhaus begleiten und Mally, das ehemalige Bieber-Äffchen, gerade noch rechtzeitig vor seiner Reise in ein neues Zuhause besuchen. Interviews mit Judith Brettmeister vom Münchner Tierheim und Christopher Waldner von Tierheimhelden rundeten meine Recherchen ab.